Velden historisch

Velden nach der Bombardierung vom 19.April 1945

Bilder E. Schulze, Bericht Käthe Barth

 

Die weiße Fahne” weist den Weg ans Licht

Käthe Barths Erinnerungen an einen der schwärzesten Tage in der Geschichte der Stadt Velden

VELDEN - Das kleine Mädchen dachte noch mit einer Mischung aus Stolz und Angst an den vorvergangenen Sonntag. Es hatte seine Konfirmation gefeiert, wie das eben 13Jährige tun - trotz des starken Gelenkrheumas, das es sich im strengen, kalten Kriegswinter 1944/45 eingehandelt und das es fast ein halbes Jahr ans Bett gefesselt hatte. Weil einige Klassenkameraden das lebensbedrohlich geschwächte Mädchen jeden Montag mit einem alten, hölzernen Handwägelchen zum Religionsunterricht ins Pfarrhaus fuhren, konnte es sich seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen und wie alle anderen Gleichaltrigen am 8. April 1945 das Abendmahl begehen.

Einige Tage später näherten sich die Amerikaner unserem Städtchen. „Das Genick werden sie euch durchbeißen, diese schwarzen Kannibalen!', hatte uns ein durchziehender Wehrmachtsoffizier gewarnt. Und dann kam die TLTS- Panzerabteilung mit ihren 200 bis 300 Fahrzeugen. Ein ganz besonders wichtiger, es war wohl ein Offizier, weiße Hautfarbe, ordnete im ganzen Ort an, weiße Fahnen zu hissen. Mutter zögerte noch, aber dann banden wir wie viele Veldener ein Bettlaken um einen Besenstiel und klemmten das Ganze in einen geöffneten Fensterspalt.

Mutter ließ uns beim Frühstück noch wissen, dass morgen der Führer seinen Geburtstag feiere. Noch am sölben Tag kam ein schwacher deutscher Spähtrupp nach Velden. Er hatte wohl beobachtet, dass die Amerikaner am 18. April in Richtung Hersbruck abgezogen waren. —Hochverrat" lautete das Urteil beim Erblicken der weißen Fahnen. Nachdem uns die Uniformierten mit deutschem Artilleriefeuer gedroht hatten, nahm Haus für Haus das Versöhnungsignal zurück; gehorsam waren wir noch immer. Am Nachmittag rückten einige deutsche Panzer ein und es bildete sich ein regelrechtes Widerstandsnest.

Als wir Maschinengewehrsalven von den Berghöhen vernahmen - unsere Wehrmachtssoldaten hatten einen US-Aufklärer beschossen -‚ ahnte Mutter schon, dass das nur entsetzliche Folgen haben konnte. Instinktiv dem Sirenengeheul folgend, rannten meine zwei Schwestern, Mutter und ich in den Luftschutzkeller.

Gegen 18.30 Uhr umkreisten vier amerikanische Jagdbomber, die sich immer tiefer fliegend spiralförmig in den mittelalterlichen Stadtkern hineinbohrten, unsere Häuser. Dann hörten wir nur noch die Detonation von mehreren Bomben. Als wir nach 45 Minuten den Keller verließen, sahen wir den Marktplatz in Flammen. Aus vielen Fenstern schlug das Feuer, selbst die Straßen qualmten. Unter Bordwaffenbeschuss gelang es uns nur mühsam, die Löscharbeiten voranzubringen. Viele konnten ihr Hab und Gut nicht mehr aus der rot-gelben Feuersbrunst retten.

Der Stadtkern glich einem Trümmerhaufen, mit Ausnahme der Kirche standen fast alle Gebäude rechts der Pegnitz in Flammen. Unser Haus blieb wie durch ein Wunder nahezu unversehrt. Damit wir es wieder einigermaßen bewohnen konnten, musste das Dach notdürftig repariert werden; beim Vernageln der Fenster - sämtliches Glas war zerborsten

durfte ich mithelfen. Bis zum nächsten Tag quartierten wir mindestens 20 Bombengeschädigte bei uns ein; einige davon aus Nürnberg.

Ausgerechnet an Führers Geburtstag hieß es plötzlich, die US-Infanterie rücke erneut gegen Velden vor, während wir am Morgen dieses 20. April noch den Geschmack der Schwelbrände auf der Zunge spürten und die glutheißen Straßen nicht zu betreten waren. Als wir Gefechtslärm vernahmen und beobachteten, wie sich die letzten deutschen Widerstandsnester über die Pegnitz und die Eisenbahn in Richtung Hartenstein zurückzogen, gab Mutter das Signal zum Aufbruch.

In Windeseile packten wir etwas Essen und Trinken in unsere Rücken- Trage und marschierten, einen kleinen Handwagen hinter uns her ziehend, mit Verletzten vom Fliegerangriff im Schlepptau zum Gotthardt- Tunnel. Eigenartigerweise nahm ich vom zerstörten Städtchen gar nicht viel wahr. Vielmehr ging mir der Vortrag meines Lehrers, der wie Vater seit Kriegsbeginn wohl an der Ostfront war und von dem ich nie wieder etwas hören sollte, durch den Kopf: „1872 erbaut, stellt der Gotthardt- Tunnel eine technische Meisterleistung dar für 406 950 Mark erbaut, der gigantische Felsen ist auf 318 Meter Länge durchbrochen worden."

Gerade beim Erreichen des Tunnels schlugen mehrere Granaten auf den Eisenbahngleisen ein. Der Blick ins Innere bestätigte, was wir schon vermutet hatten: Der Tunnel war ein Zufluchtsort für Menschen, wie sie verschiedener nicht sein konnten: Ehemalige französische Kriegsgefangene, die sich auf einem im Tunnel versteckt gehaltenen Güterzug befanden, der mit Pelzen, Lebensmitteln und anderen wohl gestohlenen Waren beladen war; Zwangsarbeiter unterschiedlichster Herkunft, Wehrmachtsangehörige, selbst in Todesangst umherirrendes Vieh hatte sich instinktiv in der Höhle eingefunden, vor allem aber Frauen und Kinder.

Meine beiden Schwestern, Mutter und ich wollten uns eben in einer Nische nahe der Tunnelmitte erschöpft niederlassen, als sich Echo- artig das Gerücht breit machte, die Franzosen sollten das Versteck verlassen, auf alle anderen werde rücksichtslos geschossen. Markerschütterndes Gebrüll des Viehs mischte sich mit den wie paralysiert sich anglotzenden Gesichtern der Menschen. Viele beteten nur noch und Mutter erinnerte uns an einen Brief, den Vater 1943 von der Ostfront geschrieben hatte: „Ich liege hier und lebe, ich lebe, weil ich bete, wenn ich irgend etwas Sinnvolles in diesem Krieg gelernt haben sollte, dann ist es das Beten."

Im selben Moment verkündete ein US-Offizier, dass alle mit erhobenen Händen aus dem Tunnel kommen sollten. Einige starrten geistesabwesend in den Boden, viele taten plötzlich so, als hätten sie nichts gehört, selbst die wenigen Männer hatten ihr letztes Reservoir an Aufopferungbereitschaft verbraucht.,, Ich laufe vorneweg, denn auf Kinder schießen die bestimmt nicht", kroch es mit einem zarten Stimmlein aus meinem Halse. Kindliche Naivität, Übermut oder einfach nur Gottvertrauen - ich weiß nicht mehr, was mich zu einem derartigen Entschluss bewegte. Mutter drückte mir einen Haselnussstecken in die Hand, nachdem sie ihn mit einem grau-weißen Handtuch umwickelt hatte. Und dann begleiteten mich sie und all die anderen auf den mit Patronen übersäten Weg zum Licht am Ende des Tunnels.

Verfasst von Käthe Barth Copyright Dr. Erwin Barth



In der "Reich"

 

 

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